Ohne Händeschütteln keine Untersuchung 

Der Fall des Monats beschäftigt sich mit Rassismus und Diskriminierung von Migrant:innen beim Zugang zu Dienstleistungen im Gesundheitsbereich. Bietet hier das Gleichbehandlungsgesetz schutz?

Unterstützung durch die Gleichbehandlungsanwaltschaft 

Das Ehepaar A, Muslim:innen türkischer Herkunft, konsultiert einen Kassenarzt. Herr A erwidert die zur Begrüßung ausgestreckte Hand des Arztes mit einem Handschlag. Frau A legt zur Begrüßung ihre rechte Hand aufs Herz und neigt den Kopf leicht nach vorne. Daraufhin fragt der Arzt, warum sie sich nicht integrieren würden. Nachdem er keine Antwort erhält, meint er, sie müssten sich an die österreichische Kultur anpassen und erklärt, die Behandlung sei erledigt und das Ehepaar A könne gehen. 

Herr A möchte zunächst auf Grund seiner Betroffenheit über die Verweigerung der Behandlung die Polizei rufen. Schließlich verlässt das Ehepaar A die Ordination ohne Einschaltung der Polizei und wendet sich an eine NGO, die den Kontakt zur Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) herstellt. Die GAW ersucht den Kassenvertragsarzt um Stellungnahme zu dem Vorfall. Dieser erklärt, es handle sich seiner Meinung nach nicht um Diskriminierung. Das Reichen der Hände stelle für ihn nicht nur eine Grußformalität, sondern auch einen großen Teil der Vertrauensbildung dar. Ein Vertrauen zwischen Arzt:Ärztin und Patient:in werde mit dem Händereichen eingeleitet. Ohne intakte Beziehung zwischen Ärzt:innen und Patient:innen könne ein Behandlungserfolg möglicherweise in Frage gestellt werden.

Die GAW ist der Meinung, dass es sich hier um einen Fall von antimuslimischem Rassismus handelt. Sie stellt daher für die Betroffenen einen Antrag bei der Gleichbehandlungskommission (GBK) zur Prüfung des Sachverhaltes. Die GBK kommt zu dem Ergebnis, dass keine Diskriminierung vorliegt, weil sie die Betroffenen als nicht glaubwürdig erachtet. Sie begründet das damit, dass der Grund für die weniger günstige Behandlung nicht die ethnische Zugehörigkeit von Frau A sondern nur deren Religion gewesen sei. Religion ist im GlBG außerhalb der Arbeitswelt jedoch nicht geschützt. Diese Begründung ist nach Ansicht der GAW fehlerhaft. Sie hätte lediglich zu einer Unzuständigkeitsentscheidung und nicht zu einem negativen Prüfungsergebnis mangels Glaubwürdigkeit führen müssen.

Hintergründe

Diskriminierung bei einer Gesundheitsdienstleistung

Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) schützt grundsätzlich beim Zugang zu und der Versorgung mit Dienstleistungen. Dienstleistungen im Sinne des GlBG sind zum Beispiel der Zugang zu einem  Schwimmbad, einem Club, oder Wohnraum und auch Gesundheitsdienstleistungen. Dazu zählen konkrete Leistungen von niedergelassenen Ärzt:innen, pflegendem Personal oder Ärzt:innen in Spitälern oder anderen Einrichtungen wie Ambulatorien, Pflege - oder Rehaeinrichtungen. Allerdings ist der Diskriminierungsschutz hier im Vergleich zur Arbeitswelt nicht umfassend: derzeit schützt das GlBG nur vor Diskriminierungen auf Grund des „Geschlechts“ und der „ethnischen Zugehörigkeit“. Werden Personen bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen auf Grund ihrer Religion oder Weltanschauung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, besteht daher kein Diskriminierungsschutz.

Muslim:innen bei Dienstleistungen unzureichend geschützt

Im beschriebenen Fall hat Frau A den Handschlag nicht erwidert. Das führte dazu, dass der Arzt ihr die Behandlung – Gesundheitsdienstleistung – verweigert hat.  Er wirft dem Ehepaar mangelnde Integration vor und begründete die Ablehnung damit, dass er ohne Handschlag kein Vertrauensverhältnis aufbauen könne. 

Es geht um die wichtige Rechtsfrage, ob es sich bei antimuslimischem Rassismus um eine religionsbezogene Diskriminierung oder eine Diskriminierung auf Grund der ethnischen Zugehörigkeit handelt, weil in einem Fall ein Schutz nach dem GlBG besteht, im anderen Fall nicht. Die GAW vertritt die Rechtsansicht, dass Formen des „anti-muslimischen Rassismus“ auch unter den Schutzbereich der „ethnischen Zugehörigkeit“ fallen. Von einer Diskriminierung auf Grund der „ethnischen Zugehörigkeit“ ist dann auszugehen, wenn die unterschiedliche Behandlung erfolgt, weil die Person als „fremd“ – also der regionalen Mehrheit als nicht zugehörig – angesehen wird. Personen muslimischen Glaubens erfahren regelmäßig Diskriminierungen, weil sie als „fremd“ wahrgenommen werden. Auch der Arzt argumentierte die Ablehnung damit, dass das Ehepaar sich nicht ausreichend integrieren und an die österreichische Kultur anpassen würde. 

Der Schutz von Muslim:innen vor Diskriminierung hängt außerdem davon ab, ob ein Sachverhalt unter die Bundes- oder Landeskompetenz fällt. Während alle neun Bundesländer vor Diskriminierungen auf Grund der Religion beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen schützen, ist dies auf Bundesebene nicht der Fall. Dieser unterschiedliche Diskriminierungsschutz wird von vielen Betroffenen und auch der GAW als nicht nachvollziehbar gewertet (so auch im Fall des Monats vom Februar 2020: „Muslim:innen am Wohnungsmarkt – mangelhafter Schutz“).

Nicht alle Frauen, nicht alle Muslim:innen: „Intersektionalität“

Sieht man genau hin, wirken im vorliegenden Fall die Diskriminierungsmerkmale „ethnische Zugehörigkeit“ (und/oder Religion) und „Geschlecht“ bei der Behandlungsverweigerung im Zusammenspiel. Man spricht von „Intersektionalität“. Im vorliegenden Fall werden weder Frauen per se von der Behandlung ausgeschlossen, noch Muslim:innen im Allgemeinen. Es werden jene muslimischen Frauen ausgeschlossen, die auf Grund ihrer Religion die Hand nicht schütteln wollen und deshalb als fremd wahrgenommen werden. Laut einem Gutachten von Frau Univ.-Prof.in Dr.in Elisabeth Holzleithner (21.10.2015: Bekleidungsvorschriften und Genderperformance, Gutachten für die Gleichbehandlungsanwaltschaft) sollte im Fall einer intersektionellen Diskriminierung das „geschützte Merkmal“ oder die „geschützten Merkmale“ durchschlagen. Entscheidungen der GBK bzw. Judikatur zu intersektioneller Diskriminierung gibt es bisher noch nicht. Da die GAW bis dato kein Klagsrecht hat, kann sie auch kein Gerichtsverfahren führen, um hier Rechtssicherheit für die Betroffenen und die Verpflichteten herzustellen.

Kulturelle „Normalität“

Dieser Sachverhalt hat sich im Jahr 2018 zugetragen und die GBK hat Anfang 2019 die negative Entscheidung gefällt – also vor der Corona-Pandemie. Wenn derzeit Patient:innen oder Ärzt:innen auf einen Handschlag bestehen würden, da ansonsten „kein Vertrauensverhältnis aufgebaut“ werden könne, würde das wohl vollkommen anders gewertet werden. 

Ähnlich verhält es sich mit dem „Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz – AGesVG“ aus dem Jahr 2017. Während dieses die Verhüllung des Gesichts unter Strafe stellte, wird jetzt bestraft, wenn man sein Gesicht in der Öffentlichkeit nicht verhüllt. Es gab also einen Wandel. Auch das Vermummungsverbot wurde damit begründet, dass Interaktion mit verschleiertem Gesicht nicht möglich ist und somit auch keine Integration. Diese Beispiele zeigen jedenfalls, dass Kultur und das was als „normal“ im Gegensatz zu dem was als „fremd“ wahrgenommen wird, einem ständigen Wandel unterworfen ist. So wie Heraklit von Ephesus (535-475 v. Chr.) schon sagte: „Nichts ist so beständig wie der Wandel.“

Fazit

Stärkung der Schutzmöglichkeiten bei antimuslimischem Rassismus

Im Bereich des Schutzes vor antimuslimischem Rassismus bestehen Lücken. Eine groß angelegte Studie zu „Diskriminierungserfahrungen in Österreich“ belegte, dass muslimische Befragte zu 78% eine Diskriminierung in den letzten drei Jahren erlebt haben. Die Diskriminierungsmerkmale ethnische Zugehörigkeit und Religion treten häufig gemeinsam auf – die Betroffenen werden häufig auf Grund beider Merkmale gleichzeitig diskriminiert. Im Bereich „Wohnen“ gaben 35% der befragten Personen muslimischen Glaubens an auf Grund ihres Glaubens diskriminiert worden zu sein (SORA im Auftrag der AK; Daniel Schönherr / Bettina Leibetseder / Winfried Moser / Christoph Hofinger, 2019: Diskriminierungserfahrungen in Österreich. Erleben von Ungleichbehandlung, Benachteiligung und Herabwürdigung in den Bereichen Arbeit, Wohnen, medizinische Dienstleistungen und Ausbildung). Zu beunruhigenden Ergebnissen bezüglich der Einstellung von Österreicher:innen gegenüber Muslim:innen kommt auch eine Untersuchung des Social Survey Österreich – über ein Drittel der Befragten steht Muslim:innen negativ gegenüber (Assoz. Prof. Dr. Wolfgang Aschauer, Universität Salzburg, 2018: Einstellungen zu Muslimen in Österreich – Ergebnisse des Sozialen Survey 2018). 

Unabhängig davon, dass die GAW ein Klagsrecht fordert, um Rechtssicherheit in Grenzfällen des GlBG herstellen zu können, sind die Angleichung des Schutzes für alle Diskriminierungsgründe und der Abbau der Zersplitterung unter den Top fünf wichtigsten Forderungen der GAW im aktuellen Bericht über die Tätigkeiten und Wahrnehmungen 2018/2019. So steht an erster Stelle der aktuellen fünf wichtigsten Forderungen der GAW, das Schutzniveau für Diskriminierung in allen Bereichen des GlBG anzugleichen (Levelling-up).