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Gleichbehandlungskommission bestätigt Recht auf selbstbestimmte Anrede beim Einkauf: Ticketshop muss System umstellen Fall des Monats Dezember 2023

Vorfall: Rein binäre Anrede bei Ticketerwerb

Eine Person möchte eine Jahreskarte in einem Ticketshop erwerben. Bei der Eingabe der persönlichen Daten ist auch die Angabe der gewünschten Anrede als Pflichtfeld vermerkt. Die Person stellt fest, dass lediglich die Optionen „Frau“ oder „Herr“ zur Auswahl stehen.  

Die Person empfindet sich durch die rein binäre Geschlechterauswahl diskriminiert und reicht daher einen Antrag bei der Gleichbehandlungskommission (GBK) ein. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) unterstützt sie im Verfahren.

Rechtliche Hintergründe

Das Gleichbehandlungsgesetz (GIBG) verbietet gemäß § 31 Abs. 1 Diskriminierungen und Belästigungen auf Grund des Geschlechts beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Eine Belästigung im nach § 35 Abs. 1 liegt mitunter dann vor, wenn die Würde der betroffenen Person verletzt wird. 

Im vorliegenden Fall sieht sich die betroffene Person durch das Formular beziehungsweise die resultierende Anrede aufgrund des Geschlechts im Sinne des § 31 GlBG beim Zugang zu einer Dienstleistung als diskriminiert. Des Weiteren empfindet die Person es als geschlechtsbezogene Belästigung im Sinne des § 35 GlBG, dass sie in allen Schreiben des Unternehmens fälschlicherweise als „Herr“ angesprochen wird.

Geschlechterbegriff des Gleichbehandlungsgesetzes

Der Schutzgrund „Geschlecht“ umfasst die Geschlechtsidentität einer Person. Auch eine Transidentität – also eine Geschlechtsidentität, die dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht entspricht – ist davon eingeschlossen (EuGH 30. 4. 1996, C-13/94, Rs Cornwall; EuGH 27. 4. 2006, C-423/04, Rs Richards). 

Das gilt sowohl für binäre als auch nicht-binäre Transidentitäten (Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 (2021) § 3 Rz 5/4; Rebhahn/Windisch-Graetz in Windisch-Graetz, GlBG2 (2022) § 3 Rz 35 ff.). Zu diesem Ergebnis kommt auch die GBK.

Zwingende Zuschreibung eines unzutreffenden Geschlechts benachteiligend

Vom Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gemäß § 31 GlBG ist auszugehen, wenn eine weniger günstige Behandlung von Personen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, in Bezug auf das Geschlecht erfolgt.

Die GBK prüfte daher, ob es eine weniger günstige Behandlung nicht-binärer Personen darstellt, wenn diese im Rahmen des Zugangs zur Dienstleistung zwischen der Anrede „Herr“ oder „Frau“ wählen müssen, um die Leistung zu erhalten.

Sie entschied, dass für das Vorliegen einer weniger günstigen Behandlung entscheidend ist, ob eine Person Nachteile, seien es materielle oder immaterielle, erleidet oder erlitten hat. Wenn der Zugang zur Dienstleistung die Zuschreibung einer unzutreffenden Geschlechtsidentität erfordert, ist ein Nachteil in immaterieller Hinsicht zu bejahen (vgl. GBK III/300/22, GZ: 2023-0.636.604), auch wenn die Leistung schlussendlich in Anspruch genommen werden kann.

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Diese weniger günstige Behandlung war im konkreten Fall allerdings aus Sicht der GBK noch nicht diskriminierend. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Umsetzung eines nicht-diskriminierenden Formulars bereits beauftragt war und die Fertigstellung zu einem festgelegten Zeitpunkt – rund 6 Monate nach Verfahrensende – vom Unternehmen garantiert wurde. 

Die Antragsgegnerin war im Verfahrenszeitpunkt mit der Eingliederung fremder Datenbanken aus unterschiedlichen Unternehmen in die Webplattform befasst. Aufgrund der technischen Komplexität sollten alle Anpassungen gesammelt umgesetzt werden. Die GBK hielt allerdings fest, dass bei nicht fristgerechter Umsetzung der selbstbestimmten Anrede die Ausnahmebestimmung des § 33 GlBG nicht mehr anwendbar sei und die Diskriminierung verwirklicht.

Belästigung aufgrund seltener Nutzung verneint

Eine geschlechtsbezogene Belästigung erkannte die GBK jedoch nicht. Diese liegt nach dem Gleichbehandlungsgesetz vor, wenn unerwünschte, unangebrachte oder anstößige Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit einem der Gründe nach § 31 oder der sexuellen Sphäre stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird und ein einschüchterndes, feindseliges, entwürdigendes, beleidigendes oder demütigendes Umfeld für die betroffene Person schaffen.

Die GBK ließ offen, ob eine Würdeverletzung verwirklich worden war, hielt jedoch fest:

„In der Regel sind – abhängig von der Schwere des Eingriffs – wiederholte oder doch über längere Zeit anhaltende oder nachwirkende Beeinträchtigungen erforderlich, um die Umgebung oder das Klima bei Inanspruchnahme einer Dienstleistung entsprechend dauerhaft zu belasten. 
Bei einer einmal jährlich erfolgenden Inanspruchnahme war dies für den Senat letztlich noch nicht überzeugend. Die Voraussetzungen einer geschlechtsbezogenen Belästigung der antragstellenden Person durch die Antragsgegnerinnen gemäß § 35 Abs. 1 leg.cit. liegen somit nicht vor.“ 

Eine wesentliche Rolle für die verneinte Belästigung spielte daher die Tatsache, dass die betroffene Person die Webplattform für die Inanspruchnahme der Dienstleistung nur einmal jährlich nutzen musste.

Fazit

Die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern ist eine Realität, die sich bereits in der Rechtsprechung, unter anderem der des Verfassungsgerichtshofs, niedergeschlagen hat (VfGH 15.06.2018, G77/2018-9). 

Der Zwang eine weibliche oder männliche Geschlechtsangabe/Anrede auszuwählen, stellt eine weniger günstige Behandlung aufgrund der Geschlechtsidentität beim Zugang zur Dienstleistung dar und wird in der Regel als Diskriminierung zu werten sein. Ungeachtet der Frage, ob der Anwendung der Ausnahme des § 33 GlBG in vorliegendem Fall zuzustimmen ist, dürfte diese bei weniger technisch komplexen Fälle im Umkehrschluss auch vor der GBK nicht gelten. Eine Diskriminierung wäre zu bejahen. Zu einem ähnlichen Ergebnis dürfte die GBK kommen, wenn die betroffene Person in regelmäßigen Abständen Schreiben erhält, in welchen sie falsch angesprochen wird.

In Deutschland hatte das OLG Frankfurt am Main bereits einen sehr ähnlich gelagerten Fall zu beurteilen: Beim Online-Fahrkartenerwerb war zwingend eine binäre Anrede erforderlich; die betroffene Person erhielt daraufhin Schreiben, die mit „Herr“ adressiert waren. Das Gericht kam zum Ergebnis, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vorliegt. Es setzte dem Unternehmen eine Umsetzungsfrist von gut 6 Monaten. Für die direkte Kommunikation mit der Person wurde keine Frist gesetzt und eine Entschädigung in der Höhe von 1.000 Euro nach dem Antidiskriminierungsgesetz (AGG) zugesprochen (OLG Frankfurt am Main, 21.06.2022 9 U 92/20). Beim AGG handelt es sich um das deutsche Äquivalent des Gleichbehandlungsgesetzes, das in Umsetzung derselben Richtlinien ergangen ist. 
Wie ein österreichisches Gericht den Sachverhalt nach dem Gleichbehandlungsgesetz beurteilen würde, bleibt abzuwarten.

Zuletzt aktualisiert am 30. Jänner 2024.